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FAQ ZUM KLIMABESCHLUSS DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS - ANTWORTEN AUF HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN.


Die Klimaentscheidung
des Bundesverfassungsgerichts

Fragen und Antworten von Lawyers for Future

Stand: 29.11.21

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Die Klimaentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18 und weitere) hat große Beachtung gefunden und auch schnell zu Änderungen am Bundes-Klimaschutzgesetz geführt. Rechtlich hat die Entscheidung neue Maßstäbe gesetzt und viele offene Fragen beantwortet. Als Lawyers for Future bereiten wir die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Entscheidung auf. Wir versuchen, die rechtlich und technisch komplexe Entscheidung in allgemeinverständlichen Worten zu erklären.

Bei Rückfragen oder weitergehenden Fragen freuen wir uns über eine Nachricht an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..

Inhaltsverzeichnis:

I. Kontext/ Ausgangslage des Verfahrens

  1. Wer hat geklagt?
  2. Wogegen genau wurde geklagt?
  3. Was prüft das Bundesverfassungsgericht bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze?
  4. Wann ist ein Gesetz mit dem Grundgesetz bzw. den Grundrechten vereinbar?
  5. Was sind Klimaklagen?
  6. Warum handelt es sich um einen Beschluss und was ist der Unterschied zu einem Urteil?

II. Zentrale Begriffe und ihre Rolle im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

  1. Grundrechte, Freiheitsrechte, Schutzpflichten – was bedeuten diese juristischen Begriffe eigentlich? ... und welche Rolle spielen Schutzpflichten und Freiheitsrechte in der Klimaentscheidung?
  2. Was bedeutet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf Grundrechte?
  3. Was meint das Bundesverfassungsgericht mit intertemporaler Freiheitssicherung?
  4. Was ist eine Staatszielbestimmung? … und warum hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung für diese interessiert?
  5. Was heißt objektivrechtlich und subjektivrechtlich? … und wo wird diese Unterscheidung im Klimabeschluss bedeutsam?
  6. Was ist das Paris-Abkommen von 2015?
  7. Was bedeuten CO2-Budget und Budgetansatz?
  8. Was ist Treibhausgasneutralität?
  9. Was ist mit „Reduktionspfad“ gemeint?

III. Kernaussagen des Beschlusses

  1. Was ist das Neue und Besondere an der Entscheidung?
  2. Was sind die (weiteren) wichtigen Aussagen der Entscheidung und was bedeuten sie?
  3. Inwieweit wurde den Beschwerdeführer*innen Recht gegeben?
  4. Warum sah das Bundesverfassungsgericht die Schutzpflichten nicht als verletzt an?
  5. Was sagt das Gericht zu einem Verstoß des Klimaschutzgesetzes gegen Artikel 20a Grundgesetz?
  6. Warum hat das Gericht den Beschwerdeführer*innen aus Nepal und Bangladesch nicht Recht gegeben?

IV. Praktische Folgen und Übertragbarkeit der Entscheidung

  1. Was hat das Gericht dem Gesetzgeber aufgegeben?
  2. Was hat der Gesetzgeber bereits getan? Was nicht?
  3. Welche Rolle spielen die EU-Vorgaben zum Klimaschutz?
  4. Welche Folgen hat der Beschluss für andere staatliche Akteur*innen (z.B. Gerichte, Landesregierungen)?
  5. Kann jetzt noch weiter für besseren Klimaschutz durch die Bundesregierung geklagt werden? Und wer kann dies tun?
  6. Welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts international?
  7. Was nützt die Klimaentscheidung den Fridays for Future?
  8. Was bedeutet die Klimaentscheidung für die Lawyers for Future?
  9. Welche Hürden stellt die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung für zukünftigen Klimaschutz und Klimagerechtigkeit auf?

 

I. Kontext/ Ausgangslage des Verfahrens

1. Wer hat geklagt?

Personen, die eine Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz eingelegt haben, werden Beschwerdeführer:innen/ Beschwerdeführende genannt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Klimaschutzgesetz erging auf insgesamt vier Verfassungsbeschwerden, die verschiedene Menschen(gruppen) erhoben hatten:

Die erste Verfassungsbeschwerde wurde bereits 2018 von einem Bündnis des Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV), des Bundes für Umwelt und

Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) und weiteren Einzelpersonen erhoben.

Die zweite Gruppe von Beschwerdeführenden waren in Nepal und Bangladesch lebende Personen, die schon heute von den Folgen der globalen Erderwärmung betroffen sind.

Die dritte Verfassungsbeschwerde stammte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, allesamt Aktivist:innen von Fridays for Future. Die beiden letztgenannten Verfassungsbeschwerden wurden von der Deutschen Umwelthilfe e.V. unterstützt.

Mit der vierten Verfassungsbeschwerde klagten neun weitere Jugendliche, unterstützt durch die Umweltorganisationen Germanwatch, Greenpeace und Protect the Planet.

Die Beschwerdeführenden beriefen sich in ihren Verfassungsbeschwerden insbesondere auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie auf ihr

Eigentumsgrundrecht. Diese sahen sie durch die unzureichenden Klimaschutzbemühungen der deutschen Regierung als verletzt an.

2. Wogegen genau wurde geklagt?

In der Sache ging es um die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber ausreichende Maßnahmen zum Klimaschutz getroffen hat oder nicht. Der Gesetzgeber hat Ende 2019 das Klimaschutzgesetz des Bundes (KSG) erlassen, das Festlegungen zur Reduktion von Treibhausgasen (insbesondere Kohlendioxid (CO2)) getroffen hatte. Damit richteten sich letztlich alle Verfassungsbeschwerden gegen bestimmte Regelungen dieses Gesetzes. Darüber hinaus machten die Verfassungsbeschwerden (teilweise) geltend, die Regierung und der Gesetzgeber hätten es unterlassen, ausreichende Maßnahmen zur Einhaltung des deutschen CO2-Budgets und damit zur Begrenzung der Erderwärmung auf 2 °C bzw. 1,5 °C zu treffen.

3. Was prüft das Bundesverfassungsgericht bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze?

Das Bundesverfassungsgericht prüft grundsätzlich nur, ob eine Handlung oder ein Unterlassen des Staates mit der Verfassung, also dem Grundgesetz, vereinbar ist oder diese verletzt. Ist ein Gesetz mit der Verfassung unvereinbar, darf das Bundesverfassungsgericht das Gesetz grundsätzlich für nichtig erklären. Dann wird das Gesetz – oder einzelne seiner Regelungen – quasi gestrichen und niemand darf es mehr anwenden. Häufig erklärt das Bundesverfassungsgericht das Gesetz nicht sofort oder in Gänze für nichtig, sondern gibt dem Gesetzgeber eine gewisse Zeit, um ein neues oder geändertes Gesetz zu erlassen. Bis dahin gilt das verfassungswidrige Gesetz weiter. Dies gibt dem Gesetzgeber Zeit, ein verfassungskonformes Gesetz zu erlassen, damit keine gesetzlichen Lücken entstehen.

Das Gericht gibt in einer solchen Situation in der Regel keine bestimmte Politikmaßnahme vor, die der Gesetzgeber ergreifen muss, denn dies dürfte es wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung nicht. Vielmehr muss der Gesetzgeber selbst entscheiden, wie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen sind.

4. Wann ist ein Gesetz mit dem Grundgesetz bzw. den Grundrechten vereinbar?

Wenn es um die Vereinbarkeit eines Gesetzes mit den Grundrechten geht, prüft das Bundesverfassungsgericht in mehreren Schritten. Zuerst fragt es, ob durch das Gesetz in Grundrechte eingegriffen wird. Wenn das der Fall ist, dann prüft es im nächsten Schritt, ob der Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist. Hier geht es also darum zu prüfen, ob bei einem Eingriff “gute Gründe” vorliegen, in Grundrechte einzugreifen. Solche können z.B. aus anderen Grundrechten herrühren, etwa wenn der Staat in Grundrechte eingreift, um andere zu schützen. Zum Beispiel kann es in Zeiten der Corona-Pandemie verfassungsrechtlich in Ordnung sein, den Teilnehmer*innen an einer Versammlung eine Maskenpflicht aufzuerlegen. Auch wenn damit in ihre Versammlungsfreiheit eingegriffen wird, ist dies nötig, um die Gesundheit anderer Menschen zu schützen.

Wenn es demgegenüber keine ausreichende Rechtfertigung gibt, hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. Erfolgreich ist sie darüber hinaus, wenn das Gesetz aus anderen Gründen, z.B. mangels Zuständigkeit des Bundes, verfassungswidrig ist.

Anders als politische Entscheidungsträger*innen darf sich das Bundesverfassungsgericht also nicht fragen, ob es ein Gesetz politisch sinnvoll findet. Die Auswirkungen seiner Entscheidungen haben aber trotzdem eine große politische Bedeutung: Denn mithilfe von Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (wie auch vor anderen Gerichten) können Entscheidungen politischer Verantwortungsträger*innen gekippt oder erzwungen werden. Hierauf zielen auch die sog. Klimaklagen.

5. Was sind Klimaklagen?

Klimaklagen sind Gerichtsverfahren, die darauf abzielen, mit einem Urteil den Klimaschutz zu verbessern. Denn nicht immer werden rechtliche Gebote zum Klimaschutz in der Praxis und politischen Umsetzung beachtet. Auch hinter den Verfassungsbeschwerden, die zum Klimabeschluss führten, stand das Ziel, den zum Erhalt unserer Lebensgrundlage erforderlichen Klimaschutz durchzusetzen. Es handelt es sich bei diesen somit um ein Paradebeispiel von Klimaklagen.

6. Warum handelt es sich um einen Beschluss und was ist der Unterschied zu einem Urteil?

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet durch einen Beschluss, wenn keine mündliche Verhandlung stattfand. Denn nur eine Entscheidung, die nach einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht getroffen wird, ergeht als Urteil. In der Sache haben aber beide Entscheidungen die gleiche Bedeutung, insbesondere ist ein Beschluss nicht weniger wert als ein Urteil.

II. Zentrale Begriffe und ihre Rolle im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

1. Grundrechte, Freiheitsrechte, Schutzpflichten – was bedeuten diese juristischen Begriffe eigentlich?

Freiheitsrechte, sind Grundrechte, die bestimmte Freiheiten (z.B. die Versammlungsfreiheit, Artikel 8 Absatz 1 GG) oder Rechtsgüter (z.B. das Leben, Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG) schützen.

Klassischerweise werden sie als Abwehrrechte verstanden: Sie schützen Menschen vor Freiheitsbeeinträchtigungen, die vom Staat ausgehen. Mit ihnen können sich Menschen also gegen ein staatliches Handeln wehren, das ihre Handlungsmöglichkeiten einschränkt oder ihre Rechtsgüter beeinträchtigt. Zum Beispiel schützt das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 1 Satz 1 GG) davor, ohne Grund von Staatsbediensteten Blut abgenommen zu bekommen.

Schon lange erkennt das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus eine Schutzwirkung der Grundrechte an: Der Staat muss es also nicht nur wegen der Abwehrfunktion der Grundrechte unterlassen, selbst Grundrechte zu verletzen, er muss auch die Grundrechte der Menschen vor bestimmten Beeinträchtigungen und Gefahren aktiv schützen. Den Staat treffen in dieser Konstellation bestimmte Schutzpflichten. So kann eine Person beispielsweise wegen des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit verlangen, dass der Staat Maßnahmen ergreift, um sie oder ihn vor gesundheitsschädlichem Fluglärm zu schützen.

… und welche Rolle spielen Schutzpflichten und Freiheitsrechte in der Klimaentscheidung?

In der Entscheidung zum Klimaschutzgesetz hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich anerkannt, dass auch der Klimawandel dazu führen kann, dass Schutzpflichten des Staates entstehen. Im Hinblick auf den Klimawandel hat der Staat also die Pflicht, die Menschen zu schützen, zum Beispiel indem er den Treibhausgasausstoß begrenzt.

Das ist rechtlich ein großer Schritt. Denn damit ist rechtlich anerkannt, dass die globale Erderwärmung zu Gesundheitsgefahren führt und Menschen vom Staat den Schutz vor diesen Gefahren verlangen können. Dieser grundrechtliche Schutzanspruch lässt sich neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben auch aus dem Recht auf Eigentum herleiten. Denn durch den mit der Erderwärmung einhergehenden Anstieg des Meeresspiegels drohen Häuser von Menschen und damit ihr Eigentum zu verschwinden oder zumindest beschädigt zu werden.

Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings in Bezug auf Schutzpflichten recht großzügig mit dem Gesetzgeber. Es lässt ihm bei der Frage, wie er die Grundrechte schützt, einen großen Entscheidungsspielraum (sog. Einschätzungsprärogative). Es prüft nämlich nur, ob der Staat es komplett unterlassen hat, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, oder ob die ergriffenen Schutzmaßnahmen zum Schutz des Rechtsguts komplett ungeeignet sind. Unter anderem deshalb sieht das Gericht die Schutzpflichten des Gesetzgebers noch (!) nicht als verletzt an.

Hingegen sieht das Gericht in der Klimaentscheidung Freiheitsrechte in ihrem klassischen abwehrrechtlichen Sinne – es spricht hier kürzer von Freiheitsrechten oder grundrechtlich geschützter Freiheit – als verletzt an (siehe dazu unter Frage III. 3.).

2. Was bedeutet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf Grundrechte?

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein wichtiger verfassungsrechtlicher Grundsatz. In Bezug auf die Grundrechte besagt er, dass Eingriff in Grundrechte verhältnismäßig sein müssen. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass die Auswirkungen einer in Grundrechte eingreifenden Maßnahme (z.B. eines Gesetzes) nicht außer Verhältnis zu den Vorteilen der Maßnahme stehen dürfen.

Dazu wird zuerst geprüft, ob eine in Grundrechte eingreifende Maßnahme einem legitimen Ziel dient. Ist das der Fall, wird geschaut, ob die Maßnahme überhaupt geeignet erscheint, dieses Ziel zu erreichen. Darüber hinaus muss sie erforderlich sein, d.h. es darf kein gleich geeignetes, aber milderes – sprich weniger in Grundrechte eingreifendes – Mittel zur Erreichung des Ziels geben. Außerdem muss die Maßnahme im Verhältnis zum Ziel angemessen sein – der Eingriff darf also nicht offensichtlich schwerwiegender als die bewirkten Vorteile sein.

Ein Beispiel: Der Staat könnte Verbrennungsmotoren auf der Straße aus Gründen des Klimaschutzes sofort und vollständig verbieten. Die Maßnahme würde dem legitimen Ziel dienen, den CO2-Ausstoß zu senken und wäre hierzu auch geeignet.

Aber es gäbe wohl mildere Mittel: Kohlekraftwerke könnten schneller abgeschaltet und durch erneuerbare Energie ersetzt werden; der Betrieb von Kreuzfahrtschiffen könnte untersagt werden; die Rinderhaltung (Methan!) könnte drastisch reduziert werden.

Das kurzfristige Verbot von Verbrennungsmotoren wäre außerdem nicht angemessen. Die Versorgung der Menschen würde wohl zusammenbrechen, die Folgen wären kaum absehbar.

Zusammengefasst also: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt vom Staat, die Maßnahmen herauszufinden und anzuordnen, die am effektivsten und am wenigsten einschneidend sind.

3. Was meint das Bundesverfassungsgericht mit intertemporaler Freiheitssicherung?

Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der intertemporalen Freiheitssicherung erstmals in der Klimaentscheidung gebraucht. Hintergrund ist der Gedanke, dass Freiheitsrechte nicht nur heute und in diesem Moment gelten, sondern auch in der Zukunft und Freiheiten auch zukünftig garantiert sein müssen. Die Menschen können bei einer absehbaren Gefahr für ihre grundrechtlich garantierten Freiheitsrechte in der Zukunft schon jetzt eine Grundrechtsverletzung vor Gericht geltend machen. Dies ist der Fall – und damit der Grundsatz der intertemporalen Freiheitssicherung verletzt – wenn durch den heutigen Treibhausgasausstoß schon in ein paar Jahren so wenig vom deutschen CO2-Budget übrig wäre, dass dann die Verpflichtung zu Klimaschutz dazu zwingen würde, dass sehr plötzlich fast keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden dürfen – quasi eine „Vollbremsung“ in der Zukunft. Denn wenn plötzlich gar keine Treibhausgase – insbesondere CO2 – mehr ausgestoßen werden dürfen, ohne dass es Alternativen zu CO2-intensiven Tätigkeiten gibt, dürfte man auf einmal fast gar nichts mehr machen – Auto fahren, Heizen, Fliegen und Bauen müsste über Nacht verboten werden. Dieser neue Grundsatz zwingt also dazu, die Auswirkungen auf Grundrechte über einen bestimmten Zeitraum, der auch die Zukunft einschließt, zu betrachten.

Letztlich war dies das Argument, welches den Verfassungsbeschwerden in der Klimaentscheidung zum Erfolg verholfen hat: Die Beschwerdeführer:innen konnten schon jetzt geltend machen, dass ihre Freiheiten bei Fortgelten des Klimaschutzgesetzes in seiner damaligen Form in der Zukunft absehbar verletzt sein würden. Das Bundesverfassungsgericht bemängelte vor allem, dass durch das Klimaschutzgesetz Reduktionslasten, die in Freiheitsrechte eingreifen, in unverhältnismäßiger Weise einseitig in die Zukunft verlagert werden.

4. Was ist eine Staatszielbestimmung?

Im Grundgesetz stehen neben Grundrechten unter anderem auch sogenannte Staatszielbestimmungen. Diese legen Ziele fest, auf die der Staat – also insbesondere Gesetzgeber und Regierungen – hinwirken muss. Die für die Klimaentscheidung wichtigste Staatszielbestimmung ist Artikel 20a GG (hierzu näher unter Frage III. 5).

Bei der Frage, wie der Staat die Staatszielbestimmung erfüllt, hat der Gesetzgeber einen großen Entscheidungsspielraum. Das Bundesverfassungsgericht prüft nur, ob ein „Mindestmaß“ an Umwelt-, Natur- und Klimaschutz gewährleistet wird. Wenn also der Staat lediglich anstreben würde, die Erderwärmung auf 4 °C zu begrenzen, würde das dem Ziel von Umwelt- und Naturschutz sicherlich nicht genügen – denn dann würden große Teile der Ökosysteme zerstört.


… und warum hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung für diese interessiert?

Staatszielbestimmungen sind objektivrechtlicher Natur, das heißt: Einzelpersonen können sich nicht direkt auf sie berufen. In der Klimaentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht dennoch geprüft, ob das Klimaschutzgesetz gegen die Staatszielbestimmung in Artikel 20a GG verstößt. Denn eine Einzelperson kann vor Gericht einfordern, dass in ihre Rechte (hier Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG und Artikel 14 Absatz 1 GG) nicht durch ein Gesetz eingegriffen wird, dass gegen sonstiges, objektives Verfassungsrecht verstößt. So kommt auch das Bundesverfassungsgericht über Umwege zur Prüfung der Staatszielbestimmung: Weil es zu der Auffassung gelangt ist, dass das Klimaschutzgesetz in Freiheitsrechte eingreift, konnte es die Klimaschutzpolitik am Maßstab der Staatszielbestimmung in Artikel 20a GG messen (Einzelheiten sieht Frage III. 5.). Es konnte also prüfen, ob genug Klimaschutz im Klimaschutzgesetz steckt.

5. Was heißt objektivrechtlich und subjektivrechtlich?

Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet in der Klimaentscheidung zwischen objektivrechtlichen Schutzverpflichtungen einerseits und subjektiven Rechten andererseits.

Der Begriff „objektivrechtlich“ bezieht sich auf das sog. objektive Recht. Dieses umfasst alle geltenden Rechtsnormen.

Subjektive Rechte sind hiervon eine Unterkategorie. Sie sind Rechtsnormen, auf die sich eine Person auch vor Gericht berufen kann. Eine Person kann also vom Staat ein Tun oder Unterlassen verlangen, wenn sie ein subjektives Recht hat, das ihr dieses Tun oder Unterlassen garantiert. Insofern sind Grundrechte in ihrer Abwehr- und ihrer Schutzdimension subjektive Rechte.

Praktisch ist die Unterscheidung zwischen subjektiven Rechten und objektivem Recht bei der Frage wichtig, wer bei einer (möglichen) Verletzung einer Rechtsnorm vor Gericht ziehen kann: Nämlich nur die Person(en), bei denen es zumindest möglich erscheint, dass ihre subjektiven Rechte verletzt wurden. Dieses Grundprinzip soll die Gerichte vor Überlastung schützen.

… und wo wird diese Unterscheidung im Klimabeschluss bedeutsam?

Der Klimawandel betrifft sowohl subjektive Rechte als auch rein objektives Recht. Da die Auswirkungen des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten zunehmen werden, kann sich ein heute jüngerer Mensch auf die Verletzung seines subjektiven Rechts – in der Zukunft – berufen.

Einen Sonderfall stellen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedoch die subjektiven Rechte künftiger Generationen dar. Da die Personen, deren Rechte geschützt werden sollen, noch nicht existieren, können sie sich schon tatsächlich nicht auf ihre Rechte berufen. Eine Schutzpflicht des Staates für ihre (künftigen) Rechte besteht dennoch – allerdings als objektivrechtliche Schutzpflicht.

6. Was ist das Paris-Abkommen von 2015?

Das Paris-Abkommen (auch Übereinkommen von Paris oder auf Englisch „Paris Agreement“) ist der wichtigste völkerrechtliche Vertrag der jüngsten Vergangenheit zum Klimaschutz. In diesem haben sich 195 Staaten unter dem Dach der Vereinten Nationen verpflichtet, gemeinsam dem Klimawandel entgegenzutreten und die Erderwärmung zu begrenzen. Das Abkommen wurde 2015 in Paris geschlossen. Wichtig ist insbesondere Artikel 2 des Pariser Abkommens, wonach der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau gehalten und Anstrengungen unternommen werden sollen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass Deutschland durch den Beitritt zum Paris-Abkommens verpflichtet ist, die Verpflichtungen aus dem Abkommen einzuhalten. Das Gericht hat damit dem Abkommen eine sehr starke rechtliche Bedeutung eingeräumt.

7. Was bedeuten CO2-Budget und Budgetansatz?

Durch den globalen Kohlendioxid (CO2)- und sonstigen Treibhausgas-Ausstoß steigt die Durchschnittstemperatur der Erde immer weiter an. Das CO2-Budget wird aus der Begrenzung auf einen maximalen Temperaturanstieg, die das Paris-Abkommen vorsieht, abgeleitet: Es ist die Gesamtmenge an CO2 und sonstigen Treibhausgasen, die noch ausgestoßen werden darf, damit die Erderwärmung nur um diese maximale Durchschnittstemperatur ansteigt. Diese Gesamtmenge kann zunächst für die gesamte Welt aus der vorgesehenen maximalen Temperaturerhöhung abgeleitet und dann auf einzelne Staaten heruntergebrochen

werden. Diese Berechnung ist allerdings mit einigen Unsicherheiten verbunden, wie auch das Bundesverfassungsgericht anmerkt. Dies führt dazu, dass sich für

unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten, mit denen die maximale Temperaturerhöhung erreicht wird, unterschiedliche verbleibende CO2-Budgets ergeben.

Für Deutschland hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen ein Restbudget berechnet, dass aufzeigt, wie viel CO2/ andere Treibhausgase in Deutschland anteilig noch emittiert werden darf, um global einen Temperaturanstieg von maximal 1,75 °C mit 67-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu erreichen.

Vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hatte die Bundesregierung sich auf den Standpunkt gestellt, nicht mit einem CO2-Budget bei der Gestaltung der Klimaschutzpolitik arbeiten zu müssen. Mit seiner Entscheidung hat des Bundesverfassungsgerichts den sog. Budgetansatz erstmals bestätigt und auch für die Politik verbindlich gemacht.

8. Was ist Treibhausgasneutralität?

Das Klimaschutzgesetz definiert “Netto-Treibhausgasneutralität” als “das Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken” (siehe § 2 Absatz 2 des Bundes-Klimaschutzgesetzes). Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass nur so viel Treibhausgas durch menschliche Tätigkeiten ausgestoßen wird, wie auch wieder von der Natur aufgenommen und verarbeitet wird. Das Ziel ist, durch die Treibhausgasneutralität die Erdatmosphäre nicht weiter mit Treibhausgasen zu belasten, da diese den Temperaturanstieg verursachen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Bundes-Klimaschutzgesetz erstmals anerkannt, dass die Staatszielbestimmung aus Artikel 20a GG auch zur Treibhausgasneutralität bzw. Klimaneutralität verpflichtet. Das Klimaschutzgesetz sah für Deutschland eine Treibhausgasneutralität bis 2050 vor. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde dieses Datum vorgezogen auf 2045, das nun im Klimaschutzgesetz geregelt ist (§ 3 Absatz 2

Satz 1 KSG).

9. Was ist mit „Reduktionspfad“ gemeint?

Deutschland setzt sich im Klimaschutzgesetz Ziele für die Reduktion von Treibhausgasen. Die Reduktionsziele sollen schrittweise erreicht werden, indem pro Jahr immer weniger CO2 und andere Treibhausgase ausgestoßen wird. Der Reduktionspfad legt diese Zwischenschritte fest, plant also, in welchem Zeitraum wie viel Treibhausgas ausgestoßen werden darf, um die Ziele zu erreichen. Der Reduktionspfad ist im Klimaschutzgesetz bisher nur bis zum Jahr 2030 festgelegt. Er definiert damit die jährlich zur Verfügung stehenden Treibhausgasmengen und notwendigen Reduktionen. Im Jahr 2025 müssen die Reduktionsziele für die Jahre nach 2030 festgelegt werden.

III. Kernaussagen des Beschlusses

1. Was ist das Neue und Besondere an der Entscheidung?

Mit der Entscheidung zum Klimaschutzgesetz hat das Bundesverfassungsgericht erstmals entschieden, dass

  • die Pariser Klimaziele Verfassungsrang haben und Klimaschutzmaßnahmen verfassungsrechtlich geboten sind,
  • beim Klimaschutz die Rechte der jungen Menschen (Stichwort: Generationengerechtigkeit) eine zentrale Rolle spielen und daher klimabedingte Freiheitseinschränkungen nicht bei den künftigen Generationen abgeladen werden dürfen,
  • der CO2-Budgetansatz geeignet ist, die maximalen Temperaturerhöhungen umzusetzen und zu planen,
  • die Staatszielbestimmung in Artikel 20a Grundgesetz zur Klimaneutralität verpflichtet,
  • der Staat Leben und Gesundheit der Bürger*innen vor den Folgen des Klimawandels schützen muss,
  • Deutschland Anstrengungen zum Klimaschutz unternehmen muss, unabhängig davon, was andere Länder weltweit tun, und international auf die ausreichende Begrenzung der Erderwärmung hinwirken muss.
2. Was sind die (weiteren) wichtigen Aussagen der Entscheidung und was bedeuten sie?

Wie häufig, hat das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung sog. Leitsätze vorangestellt. Das sind Aussag1en aus der Begründung der Entscheidung, die es für besonders wichtig, auch für andere Fälle, hält.

In Leitsatz 1 heißt es zur klimawandelbezogenen Schutzpflicht:

Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.

Konkret bedeutet dies: Weil der Staat verpflichtet ist, das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen und der Klimawandel genau diese Rechtsgüter bedroht, muss der Staat die Menschen vor den Gefahren des Klimawandels schützen. Es spielt dabei keine Rolle, dass Deutschland für den Klimawandel nicht allein verantwortlich ist. Das Bundesverfassungsgericht leitet zum Schutz vor den drohenden Gesundheits- und Lebensgefahren zwei Arten von Maßnahmen ab, die der deutsche Staat treffen muss: zum einen Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels (z.B. das Bauen von Deichen gegen Hochwasser), zum anderen Maßnahmen zur Abmilderung des Klimawandels. Dabei sagt das Gericht ausdrücklich, dass der Gesetzgeber Klimaneutralität anstreben muss.

Diese Pflichten bestehen sowohl gegenüber aktuell lebenden Menschen als auch gegenüber zukünftigen Generationen und sind daher bezüglich beider Personengruppen jetzt schon vom Gesetzgeber zu beachten.

Im Ergebnis heißt dies: Der Staat muss etwas gegen den Klimawandel tun. Nichtstun ist verfassungswidrig. Es gibt also eine Art Untergrenze für staatliche Ambitionen beim Klimaschutz. Wo diese Untergrenze verläuft, wird aber nicht ausdrücklich entschieden.

In Leitsatz 2 (insbesondere unter d. und e.) heißt es sinngemäß:

Artikel 20a GG verpflichtet den Staat verbindlich und justiziabel zum Klimaschutz und wurde durch den Gesetzgeber auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens konkretisiert.

Art. 20a GG lautet:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Aus dieser Staatszielbestimmung in Artikel 20a Grundgesetz folgt also die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers zum Klimaschutz. Diese Pflicht wurde durch die Ziele des Pariser Klimaabkommens konkretisiert. Allerdings könnten es neue wissenschaftliche Erkenntnisse nötig machen, die Ziele zu verschärfen. Dann müsste insbesondere (aber nicht nur) international auf ein höheres Ziel hingewirkt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluss der Staatszielbestimmung in Artikel 20a Grundgesetz erstmals eine zentrale Bedeutung zuerkannt. Ein Budget für Treibhausgasemissionen wird zur Grundlage des staatlichen Handelns.

In Leitsatz 2 c heißt es:

Art. 20a GG hat als Klimaschutzgebot eine internationale Dimension. Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Ausrede, Deutschland könne allein ohnehin nichts gegen den Klimawandel ausrichten und bräuchte sich deshalb auch nicht anstrengen, eine deutliche Absage erteilt. Gleichzeitig wird anerkannt, dass wirksamer Klimaschutz ohne die anderen Staaten nicht geht, sodass Deutschland auch verpflichtet ist, außenpolitisch auf den Klimaschutzbeitrag anderer Länder hinzuwirken. Dazu gehört laut dem Gericht auch, bereits eingegangene Verpflichtungen einzuhalten, um das wechselseitige Vertrauen in deren Gültigkeit aufrecht zu erhalten und u.a. dem Pariser Abkommens zur Wirksamkeit zu verhelfen.

3. Inwieweit wurde den Beschwerdeführer:innen Recht gegeben?

Im ersten Schritt stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass der Gesetzgeber mit dem Klimaschutzgesetz die Emissionsminderungen nicht angemessen über die Zeit verteilt hat und eine zu hohe Reduktionslast auf die Jahre nach 2030 übertragen hat. Zentral für die Argumentation des Gerichts ist der Budgetansatz: Deutschland steht zur ausreichenden Begrenzung der Erderwärmung nur noch ein bestimmtes CO2-Budget zur Verfügung. Jeder Verbrauch hiervon ist nicht mehr rückgängig zu machen, sodass das Budget schrittweise durch die mit Treibhausgasemissionen verbundenen, zugelassenen Tätigkeiten aufgebraucht wird. Das Grundgesetz verpflichtet den deutschen Staat aber, das Budget einzuhalten. Wenn daher in den Jahren ab 2030 das Budget fast aufgebraucht wird, ist danach – so wörtlich das Gericht – eine „Vollbremsung“ nötig: Sehr schnell müssten dann alle Tätigkeiten, die mit Treibhausgasemissionen verbunden sind, ganz oder zu großen Teilen gestoppt werden. Das Gericht stellt fest, dass mittlerweile fast alle unsere Tätigkeiten mit CO2-Emissionen einhergehen, sodass umgekehrt drastische Einschränkungen in der Zukunft für alle drohen, wenn der CO2-Ausstoß nicht rechtzeitig reduziert wird. Da die Freiheit in der Zukunft über die Freiheitsrechte des Grundgesetzes geschützt ist, sieht das Gericht in der absehbaren „Vollbremsung“ einen Eingriff in diese – künftigen – Freiheitsrechte.

Dieser Eingriff ist für das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Grundrechte nicht hinnehmbar, weil aktuell keine hinreichenden Vorkehrungen zur Eingrenzung der zukünftigen Minderungslast getroffen wurden. Es müsste mindestens ein „entwicklungsfördernder Planungshorizont“ geschaffen werden. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber festlegen muss, bis zu welchem Zeitpunkt der Treibhausgasausstoß um wie viel reduziert werden muss. Denn nur dann können alle Akteur*innen (Individuen, Unternehmen, staatliche Institutionen) sich darauf einstellen, was ihnen bevorsteht und welche Alternativen zu CO2-intensiven Tätigkeiten entwickelt werden müssen. Bislang war im Klimaschutzgesetz nur geregelt worden, dass „die Bundesregierung im Jahr 2025 […] für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährliche absinkende Emissionsmengen durch Rechtsverordnung“ festlegt (§ 4 Absatz 6 Satz 1 der alten Fassung des Klimaschutzgesetzes).

Zentral beanstandet das Bundesverfassungsgericht also insbesondere, dass der deutsche Gesetzgeber nicht festgelegt hat, was ab 2030 an Treibhausgasreduktion bevorsteht und diese Frage zu weit in die Zukunft geschoben hat.

Daneben bemängelt das Gericht, dass der Gesetzgeber diese wichtigen Entscheidungen des “wann wieviel” ohne genauere Vorgaben in die Hände allein der Bundesregierung abgegeben hat, ohne dieser zumindest Kriterien zur Bemessung der jährlichen Emissionsmengen an die Hand zu geben. Denn aus verfassungsrechtlichen Gründen muss der Gesetzgeber bei Entscheidungen, die Grundrechte besonders tangieren, zumindest wesentliche Vorgaben machen, wenn er diese an die Regierung delegiert. Dies dient der Transparenz der Entscheidungen, weil nur Gesetze im Parlament diskutiert werden.

4. Warum sah das Bundesverfassungsgericht die Schutzpflichten nicht als verletzt an?

Das Bundesverfassungsgericht sah aktuell keine Verletzung von Schutzpflichten durch den deutschen Gesetzgeber – weder in Bezug auf ihr Recht auf Leben und Gesundheit noch aufgrund ihrer Eigentumsrechte. Wichtig ist hierbei zu wissen, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten dem Gesetzgeber generell einen “Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungspielraum” lässt. Es wird nur geprüft, ob der Staat es komplett unterlassen hat, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, oder ob die ergriffenen Schutzmaßnahmen zum Schutz des Rechtsguts komplett ungeeignet sind. Bei dieser Prüfung wies das Bundesverfassungsgericht die Argumente der Beschwerdeführenden, Schutzpflichten seien verletzt, zurück, weil immer noch die Möglichkeit bestünde, die Emissionsziele nachzubessern sowie Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels vorzunehmen. Damit könnten nach Ansicht des Gerichts die Menschen in Deutschland ausreichend geschützt werden.

5. Was sagt das Gericht zu einem Verstoß des Klimaschutzgesetzes gegen Artikel 20a Grundgesetz?

Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass derzeit nicht festgestellt werden kann, dass das Klimaschutzgesetz die Voraussetzungen der Staatszielbestimmung nicht erfüllt. Das Gericht leitet aus Artikel 20a Grundgesetz zwar die Pflicht zur Einhaltung des deutschen Budgets ab und stellt fest, dass es nach derzeitigem Stand eher unwahrscheinlich erscheint, dass das Budget eingehalten werden kann, da „alsbald nach 2030 Klimaneutralität realisiert werden müsste“. Es sieht Artikel 20a Grundgesetz aber derzeit nicht als verletzt an und lässt den Gesetzgeber u.a. damit davonkommen, dass es aktuell noch zu große Berechnungsunsicherheiten bzgl. des global verbleibenden Budgets gebe. Zudem argumentiert das Bundesverfassungsgericht auch hier, dass noch die rechnerische Möglichkeit der (wenn auch aus anderen Gründen grundrechtswidrigen) „Vollbremsung” besteht, das CO2-Budget einzuhalten.

6. Warum hat das Gericht den Beschwerdeführer:innen aus Nepal und Bangladesch nicht Recht gegeben?

Zuerst bestätigt das Gericht eine wichtige Botschaft: Die deutschen Grundrechte sind nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Dies wurde für die „Abwehrrechtsdimension“ der Grundrechte schon in anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Das Bundesverfassungsgericht führt im hiesigen Beschluss jedoch erstmals aus, dass Schutzpflichten möglicherweise auch gegenüber den im Ausland lebenden Beschwerdeführer*innen wegen der zum Teil durch Deutschland verursachten Folgen des Klimawandels bestehen. Ob dies tatsächlich so ist, lässt das Gericht aber offen: Denn wenn schon die Schutzpflichten gegenüber Menschen in Deutschland nicht verletzt sind (siehe Frage III. 4.), dann sind sie es auch nicht gegenüber im Ausland lebenden Menschen.

Das Gericht führt aus, dass Schutzpflichten gegenüber im Ausland lebenden Menschen in jedem Fall einen etwas anderen Inhalt hätten als Schutzpflichten gegenüber Menschen, die in Deutschland leben: Denn der deutsche Staat könne nicht einfach Maßnahmen ergreifen, um die Menschen z.B. in Nepal oder Bangladesch vor den negativen Folgen des Klimawandels, wie z.B. durch den Bau von Deichen, zu schützen. Denn solche Maßnahmen können nur in den Ländern vor Ort vorgenommen werden und würden daher die Hoheitsgewalt der Länder auf ihrem Staatsgebiet verletzen. Eine Verletzung fremder Hoheitsgewalt könne aber auch nicht mithilfe von Schutzpflichten vom deutschen Staat verlangt werden. In der Frage, ob der Gesetzgeber genug tue, um die Erderwärmung von vorneherein aufzuhalten, argumentiert das Gericht daneben genauso wie bei den deutschen Beschwerdeführenden.

Im Klartext: Das Bundesverfassungsgericht beurteilt die aus den Grundrechten resultierenden Pflichten des deutschen Gesetzgebers für im Ausland lebende Menschen anders als für Inländer*innen. Es will sich aber nicht so richtig festlegen, wie diese Pflichten aussehen. Es lässt nur durchblicken, dass die Pflicht zur Begrenzung der Erderwärmung auch gegenüber diesen besteht.

IV. Praktische Folgen und Übertragbarkeit der Entscheidung

1. Was hat das Gericht dem Gesetzgeber aufgegeben?

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, das Klimaschutzgesetz bis zum 31.12.2022 so abzuändern, dass für die Zeit nach 2030 aufgezeigt wird, wie der Reduktionspfad verläuft. Denn das angegriffene Klimaschutzgesetz sah einen konkreten Pfad nur bis zum Jahr 2030 vor. Allerdings lassen sich aus der Entscheidung auch Rückschlüsse auf den Zeitraum vor 2030 ziehen, da das Gericht an mehreren Stellen darauf verweist, dass bei Zugrundelegung der Planungen des Klimaschutzgesetzes das verbleibende Budget bis 2030 fast vollständig ausgeschöpft ist.

2. Was hat der Gesetzgeber bereits getan? Was nicht?

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde sehr schnell eine Änderung des Klimaschutzgesetzes auf den Weg gebracht. Mit dieser Änderung wurde das Klimaziel für 2030 angehoben (von 55 auf 65 % Reduktion von Treibhausgas im Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 1990, siehe den neuen § 3 Absatz 3 Nr. 1 KSG).

Selbst wenn dieses Ziel erreicht wird, verbleibt ab dem Jahr 2030 nur noch ein kleiner Teil des Restbudgets für Treibhausgas-Emissionen. Allerdings wurde eine Vorgabe bisher nicht umgesetzt: Das Bundesverfassungsgericht hat zusätzlich vorgegeben, das verbleibende Budget für den Zeitraum nach 2030 mit einem Reduktionspfad zu versehen. Denn das Gericht bemängelt die Unsicherheit und fehlende Planung für diese Zeit und weist darauf hin, dass nur durch eine konkrete Benennung auch für den Zeitraum ab 2030 „Entwicklungsdruck und Planungssicherheit“ gegeben sind. Dies muss noch nachgebessert werden. Hierfür bleibt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Zeit bis Ende 2022.

3. Welche Rolle spielen die EU-Vorgaben zum Klimaschutz?

Auch durch die Europäische Union werden Klimaziele und Treibhausgas-Reduktionen sowohl für die EU als Ganzes als auch die einzelnen Mitgliedsstaaten festgelegt. Mitte Juli hat die EU-Kommission ein Paket mit Vorschlägen veröffentlicht, wie die EU ihr Klimaziel für 2030 – Minderung um 55% im Vergleich zu 1990 – erreichen soll, das sog. Fit for 55-Paket. Die dort vorgesehenen Maßnahmen sind erst verbindlich, wenn sowohl die Regierungen der Mitgliedsstaaten als auch das Europäische Parlament sich diesbezüglich einig sind. Die so beschlossenen Vorgaben können dann durchaus dazu führen, dass auch Deutschland das Klimaschutzgesetz noch einmal ändern muss. Eine solche Anpassung im Falle abweichender EU-Vorgaben ist im Klimaschutzgesetz bereits vorgesehen.

Klimaschutzpflichten Deutschlands folgen damit sowohl aus Verfassungs- als auch aus Europarecht.

4. Welche Folgen hat der Beschluss für andere staatliche Akteur:innen (z.B. Gerichte, Landesregierungen)?

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind für alle staatlichen Akteur:innen bindend. Damit sind alle Gerichte und Behörden auf Bundes- oder Landesebene an die Aussagen des Gerichts in dem Beschluss gebunden und dürfen sich zu diesem nicht in Widerspruch setzen.

Dies gilt z.B auch für die Landesregierungen und Landesparlamente und damit für die Klimaschutzgesetze der einzelnen Bundesländer.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gemeinsam mit Einzelpersonen daher Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Klimaschutzgesetze von Nordrhein-Westfalen, Bayern und Brandenburg erhoben.

Eine inhaltliche Konsequenz aus dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts lautet: Regierungen, Verwaltungen und Gerichte müssen Gesetze und Recht klimaschützend auslegen. Die Gerichte sind verpflichtet, das zu überprüfen.

Woher kommt diese Aussage?

Das Gericht sagt in seinem Beschluss, dass Art. 20a GG den Gesetzgeber inhaltlich bindet. Konkret stellt es fest, dass der Gesetzgeber mehr tun muss, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.

Gleiches gilt dann aber auch für die Exekutive und die Judikative, also Regierungen, Verwaltungen und Gerichte.

Nochmals zum Wortlaut des Art. 20a GG:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Der Klimaschutz ist also auch Aufgabe der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung nach Maßgabe von Gesetz und Recht. Art. 20a GG enthält ein gestuftes Staatsziel: Der Gesetzgeber hat die gesetzlichen Grundlagen für die Staatsziele (Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und Tierschutz) zu schaffen, Exekutive und Rechtsprechung haben das im Rahmen des gesetzlichen bzw. rechtlichen Rahmens umzusetzen.

Art. 20a GG verlangt damit von Exekutive und Judikative, dass das geltendes Recht im Sinne der Staatszielbestimmung ausgelegt wird.

Eine Auslegung von Gesetzen, die die Staatsziele des Art. 20a GG nicht umsetzt, ist verfassungswidrig, wenn sie nicht durch andere Verfassungsgüter gerechtfertigt ist. Auslegungsfähige Rechtsnormen müssen also in Richtung dieses Schutzes ausgelegt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat zudem festgestellt, dass Art. 20a GG „justiziabel“ ist. Es kann also gerichtlich überprüft werden, ob sich die Behörden an die

Vorgaben des Art. 20a GG halten.

Es wird künftig also möglich sein, beispielsweise Verwaltungsentscheidungen auf ihre Klimafreundlichkeit bzw. ihren Klimaschutz überprüfen.

Mögliche Beispiele:

Eine Kommune entscheidet über die Anschaffung eines neuen Müllfahrzeugs. Es gibt Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, mit Elektro- und mit Wasserstoffantrieb. Wenn es grundsätzlich machbar ist, einen klimafreundlicheren Antrieb zu verwenden (z.B. weil sich ein Ladepunkt für den Elektroantrieb auf dem Gewerbehof einrichten lässt), und wenn die ggf. höheren Kosten vertretbar sind, wird die Kommune die klimafreundlichere Variante nehmen müssen.

Oder:

Bürger*innen beantragen bei ihrer Kommune, künftig nur noch Ökostrom zu beziehen. Ist dies von den Kosten her vertretbar, muss die Kommune das machen.

Viele Details zu den Auswirkungen des Klimabeschlusses auf staatliche Akteur*innen sind noch unklar. Eine zentrale Frage ist z.B. immer, wer eigentlich auf die Einhaltung des Klimaschutzes klagen kann. Privatpersonen können das nur in seltenen Fällen. Gute Klagerechte haben oft Umweltverbände.

5. Kann jetzt noch weiter für besseren Klimaschutz durch die Bundesregierung geklagt werden? Und wer kann dies tun?

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde das Bundes-Klimaschutzgesetz im Hinblick auf die Grundrechte der Beschwerdeführenden überprüft. Mit Ablauf der Frist, die das Gericht für die Änderungen am Klimaschutzgesetz gesetzt hat, ist das dann geltende Gesetz an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu messen. Das heißt, es könnte dann gerichtlich überprüft werden, ob diese eingehalten wurden.

Die Klimaschutzpolitik erschöpft sich aber nicht in dem Bundes-Klimaschutzgesetz. Denn entscheidend wird auch sein, wie der Rahmen, den dieses Gesetz setzt, in konkrete Maßnahmen übersetzt wird. Bei jeder dieser Maßnahmen muss dann gefragt werden, ob diese den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes und den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden. Ist dies nicht der Fall, können die Verwaltungsgerichte angerufen werden. Denn diese prüfen die Vereinbarkeit von konkreten behördlichen Entscheidungen mit dem geltenden Recht.

Wer dies tun kann, bestimmt sich danach, wie jemand betroffen ist. Anerkannte Umweltverbände können Verstöße gegen Umweltrecht geltend machen, Einzelpersonen nur, wenn sie zeigen können, dass sie in eigenen Rechtspositionen verletzt sind.

Einige Klagen gibt es bereits, wie z.B. die Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen das Klimaschutzprogramm. Das Klimaschutzprogramm ist das Maßnahmenpaket der Bundesregierung, mit dem diese ihre Treibhausgaseinsparungsziele erreichen will. Auch in Verfahren gegen Einzelprojekte spielt der Klimaschutz immer wieder eine Rolle – sei es bei den Klagen gegen die Erdgaspipeline Nordstream II oder wenn Einzelpersonen gegen die Erweiterung eines Tagebaus vorgehen.

6. Welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts international?

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bindet rechtlich nur deutsche Staatsorgane. Allerdings wird gerade im Bereich der Klimaklagen auch international verfolgt, was vor anderen Gerichten in anderen Ländern passiert. So verweist auch das Bundesverfassungsgericht auf Urteile aus anderen Ländern, vergleicht Entscheidungen auf sog. Klimaklagen aber nicht weltweit, sondern wählt nur einige, z.B. aus den Niederlanden oder Irland aus.

Dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts international Beachtung finden, ist auch daran erkennbar, dass sowohl die Pressemitteilungen als auch die ganze Entscheidung in englischer Übersetzung und in französischer Übersetzung veröffentlicht wurde.

7. Was nützt die Klimaentscheidung den Fridays for Future?

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde zum Teil durch Fridays for Future (FFF)-Aktivist*innen, die Verfassungsbeschwerde eingereicht hatten, erreicht. Insofern ist der Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht auch ein Erfolg der FFF. Die FFF haben allerdings sehr konkrete Forderungen in Bezug auf die Klimaschutzpolitik, die damit noch lange nicht erfüllt sind: Sie fordern

  • Klimaneutralität bis 2035 (und nicht erst 2045),
  • einen Kohleausstieg 2030 (und nicht erst 2038)
  • sowie 100% der Energieversorgung durch erneuerbare Energien bis 2035.

Es bleibt damit noch viel zu tun.

8. Was bedeutet die Klimaentscheidung für die Lawyers for Future?

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat bestätigt, dass das Recht eine wichtige Rolle für den Klimaschutz spielt. Dies ist ein Grund, warum es die Lawyers for Future gibt. Wir solidarisieren uns nicht nur mit Fridays for Future und ihren Forderungen, sondern fordern auch ein zukunftsfähiges Recht, dass die Klimakrise und ihre Folgen, soweit es geht, abmildert. Nach der Entscheidung werden sich die Lawyers for Future weiter dafür einsetzen, dass das Recht genutzt wird, um Klimaneutralität (Nettonull) bis 2035 zu erreichen und die Forderungen der FFF zu erfüllen. Die Beschreitung des Rechtsweges durch unter anderem die Fridays for Future hat den politisch Verantwortlichen mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass es Nachbesserungsbedarf gibt. Als Lawyers for Future begrüßen und unterstützen wir diese Art der strategischen Prozessführung durch sog. Klimaklagen.

9. Welche Hürden stellt die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung für zukünftigen Klimaschutz und Klimagerechtigkeit auf?

Die Entscheidung hat zu wichtigen Nachbesserungen am Klimaschutzgesetz in kurzer Zeit geführt. Das ist positiv, auch wenn mit dem Gesetz allein noch kein bisschen CO2 reduziert wird. In der Diskrepanz zwischen der rechtlichen Argumentation der Beschwerdeführer:innen und der Entscheidung zeigt sich jedoch auch, wo zukünftig Probleme für weitere Klimaklagen bestehen könnten.

Dies bezieht sich einerseits auf den Freiheitsbegriff des Gerichts. Dieser ist stark ausgerichtet daran, dass viele heutige Tätigkeiten zwar mit CO2-Ausstoß einhergehen, aber durch Freiheitsrechte geschützt sind. Dies bekräftigt bestehende rechtliche Hürden, CO2-intensiven Tätigkeiten, etwa durch Ordnungsrecht, beizukommen. Das Gericht geht aber erkennbar davon aus, dass Freiheitseinbußen durch Klimaschutzmaßnahmen in der der Zukunft unumgänglich sind. So gelesen, schafft die Entscheidung gerade keine neuen Hürden.

Andererseits werden die Maßgaben des IPCC und des Paris-Abkommens als entscheidende Leitlinien anerkannt. Auch wenn dies ein großer Schritt ist, werden Forderungen nach Klimagerechtigkeit hierdurch nicht erfüllt. Denn hiernach sind nicht etwa ausschließlich die Temperaturgrenzen entscheidend, sondern vor allem die Auswirkungen weltweit. Dass diese an bestimmten Orten bereits jetzt lebensbedrohlich sind, wird damit ausgeblendet und findet keine Berücksichtigung.

Verschärft wird diese Problematik dadurch, dass sich das Bundesverfassungsgericht zu Ansprüchen von im Ausland lebenden Beschwerdeführer:innen eher zurückhaltend geäußert hat (siehe oben Frage III. 6.).

 

Download der FAQ zur Klimaentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (PDF, 634 KB) hier.

 

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